Wir alle kennen den ganz normalen Wahnsinn des Lebens. Morgens: Aufstehen, dann zur Arbeit. Mittags: Kurzer Imbiss, dann wieder Arbeit. Abends: Müde nach Hause, fernsehen, schlafen. Nachts: Der Traum von Erfolg und Unabhängigkeit. Der Alptraum vom Versagen. So geht es jeden Tag, ein ganzes Leben lang. Wer erhoffte sich nicht mehr. Doch er traut sich? Fast keiner. Leider.
Erik Satie und Sibylle Berg wagen einen ironisch-heiteren, manchmal sarkastischen Blick auf unser aller Feigheit. Ab dem 25. April 2014 im Theater Heilbronn.
Foto: Kultureller Zwischenraum
Vorbericht zu der Aufführung im SWR-Hörfunk:
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Relâche
von Erik Satie,
neuinstrumentiert für Streichorchester von Ian Wilson (UA)
mit Texten von Sibylle Berg (aus: Wie halte ich das nur alles aus?)
&
Socraté
von Erik Satie,
neuinstrumentiert für Streichorchester von Ian Wilson (UA)
Deutsche Textfassung von Christian Marten-Molnár
Musikalische Leitung: Ruben Gazarian
Inszenierung: Christian Marten-Molnár
Ausstattung: Nikolaus Porz
Video: Marc Stephan
Dramaturgie: Johannes Frohnsdorf
Es spielt das Württembergisches Kammerorchester Heilbronn
Foto: Fotostudio M42
Eine Koproduktion zwischen dem Theater Heilbronn und dem WKO Heilbronn
Premiere: 25.04.2014, Großes Haus
Ergänzt wird die Heilbronner Beschäftigung mit dem Werk des großen französischen Komponisten durch ein Konzert des WKO am 14.06.2014 im Intersport Forum.
In der populären Reihe redblue meets Klassik werden auf dem Konzertplan stehen Sports et divertissements, die drei Gymnopedien und Lieder des eigenwilligen Komponisten.
Der Theaterabend wird aus zwei Teilen bestehen:
der Ballett-Musik Reláche aus dem Jahre 1924 und Socrate (1918). Beide Werke Erik Satie’s werden von dem britisch/irischen Komponisten Ian Wilson für das Württembergische Kammerorchester neuinstrumentiert. Nach seiner Oper Minsk ist dieser Musiktheaterabend sein zweite Zusammenarbeit mit dem Orchester und dem Theater Heilbronn.
Erik Satie (1866-1925) gehört zu den Gründungsvätern der Neuen Musik. Komponisten wie John Cage sehen in ihm und seinen Prinzipien die Grundlage all dessen, was sie heute zum Komponieren antreibt.
Satie, der als Komponist keine richtige Ausbildung erhalten hatte, der sein Geld als Pianist in den Nachtclubs Paris‘ verdienen musste, der bis auf wenige Jahre immer in Geldnöten war und in einem armen Arbeitervorort Paris‘ lebte, ist ein einzigartiges Phänomen in der Musikwelt. Sein ganzes Leben lang war er auf der Seite der „jungen Wilden“ und wurde von diesen verehrt. Doch wenn diese im Musikbetrieb „angekommen“ waren, zerbrach die Freundschaft mit dem sonderbaren Eigenbrötler. Er wollte nicht „angekommen“, er wollte immer „auf dem Weg“ sein. Selbstzufriedenheit war ihm fremd. Seine Musik war seine Sprache, über die moderne Welt, die Welt des Umbruchs in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erzählen zu können. Und seine Sprache war in ihrer extremen Einfachheit provozierend. Sie war leise, ruhig, voller Witz und Ironie.
Es verwundert nicht, dass fast alle bedeutende Schriftsteller und Maler Frankreichs die Zusammenarbeit mit Satie gesucht hatten: von Picasso über Picabia und Cocteau bis hin zu den Filmemachern seiner Zeit. Sie fanden in Satie’s Musik das, was die Zeit ausmachte. In dem Ballett Reláche beispielsweise wurden zu kleinen musikalischen Miniaturen alltägliche Szene gezeigt. Mit Ballett in einem klassischen Sinne hatte dieses Werk nichts zu tun.
Neuinstrumentiert für die MusikerInnen des WKO Heilbronn wird dieses Werk ebenso wie Socraté von Ian Wilson.
Diesen Gedanken wird auch die Neuinszenierung am Theater Heilbronn weiter verfolgen: In kleinen, teilweise heiteren Bildern werden die Alltäglichkeiten, mit denen wir uns das Leben selbst schwer machen, aufs Korn genommen.
Die einzelnen Musiknummern werden ergänzt mit Texten von Sibylle Berg aus ihrem im letzten Jahr erschienenen Buch Wie halte ich das nur alles aus? Fragen Sie Frau Sibylle. (Hanser Verlag, München, ISBN: 978-3-446-24322-4). Sibylle Berg beschreibt in ihrer online-Kolumne Absurditäten, Verzweiflungen, Ungerechtigkeiten, Zumutungen, Hoffnungslosigkeit, Wahnwitz unserer Alltäglichkeit. Kaum eine AutorIn beschreibt treffender, schonungsloser und doch freundlicher den Wahnsinn unserer modernen Welt. Der Mensch, die „Krone der Schöpfung“, ist Teil eines grossen Systems, das er nicht zu verstehen vermag. Wir freuen uns sehr, dass wir die Genehmigung bekommen haben, diese wunderbaren Texte für unseren Theaterabend benutzen zu dürfen!
Wärmstens empfohlen seinen die Romane und Theaterstücke von Sibylle Berg – und auch regelmäßig ihre homepage zu besuchen lohnt sich!
Socrate hingegen beleuchtet die Gegenwart auf eine ganz andere Art und Weise: Satie hatte Texte aus der französischen Übersetzung von Platons Dialoge verwendet. Sie reflektieren Leben und Sterben eines Mannes, der versucht, nicht dem Streben nach Reichtum und Macht zu erliegen. Satie’s Sokrates ist ein Mann, der mit sich und der Welt Frieden gemacht hat. Und den Komponisten beschäftigt sehr, dass die Welt genau dieses nicht ertragen kann und sich Sokrates entledigen will. Wer nicht mitmacht, der wird zur Gefahr.
Dieses hoch politische Statement Satie’s findet deutliche Parallelen in seinem Leben. Satie war sozial engagiert, organisierte beispielsweise für Arbeiterkinder aus seinem Viertel Ferienreisen, war sehr früh schon Mitglied der Kommunistischen Partie. Aber auch hier zeigte sich wieder der Eigensinn des Komponisten. Ideologie um ihrer selbst Willen interessierte ihn nicht. Der Mensch und sein Wohl stand für ihn immer im Mittelpunkt.
Das sind die Ausgangspunkte unserer konzeptionellen Arbeit.