Minsk (Uraufführung)

Eine Oper über Migration und Integration. Anna lebt seit zwanzig Jahren in London, doch wirklich angekommen in ihrer Heimat fühlt sie sich nicht. Zu sehr spürt sie und lässt man sie spüren, dass sie eine Fremde geblieben ist,

Oper von Ian Wilson (Musik) und Lavinia Greenlaw (Text)

Musikalische Leitung: Ruben Gazarian
Inszenierung: Christian Marten-Molnár
Ausstattung: Nikolaus Porz
Dramaturgie: Johannes Frohnsdorf

 

Eine Koproduktion von Theater Heilbronn und Württembergischen Kammerorchester Heilbronn
Gefördert von British Council und Pro Helvetia

Mit:
Johanna Greulich (Anoushka), Ksenija Lukic (Anna), Niklas Romer (Fyodor)
Bianca Deli, Claus Emrich, Kerstin Haberling, Bernd Handel, Hannelore Hilgart, Marvin Kuhn, Ben Porter, Günther Scholl, Claudia Taglialatela, Jean Gabriel Vidal (Menschen in London und Minsk)

Einmal in der Spielzeit realisieren das Theater Heilbronn und das Württembergische Kammerorchester gemeinsam szenisch ein außergewöhnliches Werk der Musikliteratur. Im März 2013 war es die Uraufführung der Oper »Minsk« des preisgekrönten, in Irland lebenden Komponisten Ian Wilson und der vor allem in Großbritannien bekannten Lyrikerin Lavinia Greenlaw. Die Schöpfer des Werkes gaben Christian Marten-Molnár, der bereits deren erste gemeinsame Oper »Hamelin« uraufgeführt hatte, das Vertrauen.

In der heutigen Zeit kann man keine Zeitung aufschlagen, keinen Fernsehabend verbringen, ohne auf die Debatten um die Thema Migration und Integration gestoßen zu werden. Und immer steht die Frage im Vordergrund, wie sich dadurch unsere westliche Gesellschaft verändert. In ihrer zweiten gemeinsamen Oper „Minsk“ erzählen der irisch/britische Komponist Ian Wilson und seine in London lebende Librettistin Lavinia Greenlaw eine Geschichte, die sich auch mit diesem Thema beschäftigt. Allerdings steht bei ihnen nicht die sog. „Mehrheitsgesellschaft“ im Zentrum, sondern vielmehr das Schicksal eines Menschen, der versucht hat, sich dieser neuen Gesellschaft anzupassen, sich zu integrieren.

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Anna hat es scheinbar geschafft. Sie lebt und arbeitet unauffällig, angepasst, integriert im modernen London. Sie hatte eine Entscheidung getroffen und diese konsequent umgesetzt. Und doch plagen sie die Zweifel, ob es richtig gewesen war. In diesem Punkt trifft sich ihre Geschichte mit der vieler anderer Menschen. Wer hat nicht im nach herein gedacht, das man die falsche Entscheidung getroffen hatte. Wie lässt sich mit einem solch quälenden Gedanken leben? Wilson und Greenlaw versuchen in ihrer Oper zu erforschen, ob man nur dann eine Zukunft hat, die Zukunft gestalten kann, wenn man die Vergangenheit mit in die Gegenwart nimmt. Das Hadern mit Entscheidungen lähmt das Handeln und den wachen Blick in der Gegenwart. Man ist nach Überzeugung der Autoren geprägt durch das Vergangene. Und die Mitmenschen müssen diese Prägung akzeptieren. Man kann und darf nicht verlangen, dass ein Mensch seine Vergangenheit vollständig „vergisst“. Integration kann nicht durch Aufgabe, sondern nur durch das Mitnehmen der eigenen Wurzeln gelingen. Und diese Überzeugung meint nicht nur die Frage der geografischen Herkunft, sondern auch die der sozialen, psychischen, religiösen und was auch immer für einer Herkunft. Zukunft gestaltet sich nur, wenn jeder Mensch von den anderen, von der Mehrheitsgesellschaft in seiner Verschiedenartigkeit akzeptiert wird. Integration, welcher Art auch immer, kann nicht Assimilation sein. Das funktioniert nicht.

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Fotos: Nikolaus Porz

Anna, eine junge Frau von Anfang Zwanzig, hat einen Traum: Sie möchte fort aus dem Elend ihrer Heimat, einem Land, das fest im Griff des wirtschaftlichen Abstiegs ist. Sie jobbt als Bedienung. Es reicht gerade zum Nötigsten. Eine eigene Wohnung kann sie davon nicht bezahlen und muss so bei mit ihrer alten Tante in einer nicht beheizbaren Ein-Zimmer‐Wohnung leben. Von ihrem Freund Fyodor hat sie nicht viel zu erwarten. Dieser versucht sich als Dichter, lebt von ihrem Geld und hält mehr davon, in der Kneipe seine Künstler-­‐Attitute zu pflegen, als sich um eine gemeinsame Zukunft  zu sorgen. Und so sieht Anna nur einen Ausweg: Sie will weg aus ihrer Heimatstadt, aus ihrem Heimatland. Sie träumt von einem Neuanfang, von einem Leben in London. Und wenn es sein muss, auch alleine ohne Fyodor.

Die Oper setzt mehr als zwanzig Jahre später ein. Anna, dem Augenschein nach integriert in die moderne westliche Gesellschaft, arbeitet als Angestellte – ein unbedeutender Job in einer unbedeutenden Firma. Sie lebt nun das Leben vieler Menschen im modernen Kapitalismus: Die Arbeit bestimmt ihren Tag, ist Single, und gilt aus Frau von Mitte Vierzig in unserer Gesellschaft, in der nur die Jugend zählt, als alt und„verbraucht“.
Es ist kurz vor Weihnachten. Anna erwarten wieder einmal einsame Feiertage. Auf der Rückfahrt von der Arbeit nach Hause lassen Geräusche, Gerüche, kurze körperliche Kontakte, so wie sie in einer vollen U-­ Bahn alltäglich sind, Erinnerungen an ihre Jugend aufsteigen. Sie erinnert sich an die junge, lebensvolle, optimistische junge Frau, die sie einmal gewesen war. Was ist nur aus ihr geworden? War es richtig, den Weg ins Exils gegangen zu sein? Hat es sich gelohnt, auf den Freund, die Heimat verzichtet zu haben? Was hat sie hier in London?

Die Selbstzweifel münden in einem Tagtraum. Anna sieht sich in ihre Heimatstadt zurückkehren. Bekommt sie eine zweite Chance? Sie trifft auf Fyodor, der der Fyodor ihrer Jugend ist: Anfang Zwanzig, selbstverliebt und mehr mit sich beschäftigt als mit der Partnerin. Und sie trifft auf eine junge Frau, auf sich selbst, kurz bevor sie nach London gegangen war. Und Anna versucht das junge „ich“ davon zu überzeugen, dazubleiben. Das, was sie im Exil erwarten würde, sei nicht wert, zu Hause alles aufzugeben. Doch die junge Frau lässt von ihrem Entschluss nicht ab. Sie will den Schritt wagen, die Erfahrung machen.

In dem Selbstgespräch wird Anna eines klar: Es war damals die richtige Entscheidung und ihre Zukunft kann sie nur dann in die eigenen Hände nehmen, neu gestalten, wenn sie die Gegenwart annimmt mit der Kraft, dem Gestaltungswillen,  den sie als junge Frau gehabt hatte. Anna begreift, dass man nur dann eine Zukunft hat, wenn man die Vergangenheit nicht als nostalgischen Rückzugsraum benutzt, sondern sie mit in die Gegenwart nimmt.

Pressestimmen:

Eine Frage der kulturellen Identität
Deutschlandradio Kultur, Frieder Reininghaus
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Zwischen Aufbruch und Verharren
Heilbronner Stimme, Uwe Grosser
bitte hier klicken

Minsk – London, ohne Rückfahrkarte: Eine bemerkenswerte Kammeroper von Ian Wilson in Heilbronn
Neue Musikzeitung, Frieder Reininghaus
bitte hier klicken

Eine Reise von Minsk nach Minsk
Fränkische Nachrichten, Jürgen Strein
bitte hier klicken

 

Am 16. Februar fand während einer Probe der Uraufführung Minsk der erst Kultur Tweetup eines Stadttheaters statt.